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Geheimnisse

Der Chemnitz habe ich schon viele Geheimnisse anvertraut. Wie oft saß ich in Gedanken versunken an ihrem Ufer. Wie oft habe ich kleine Papierfaltboote in ihre Fluten gesetzt, beladen mit Wünschen und Hoffnungen, die schon in der ersten Stromschnelle kenterten und untergingen. Wie oft habe ich Steine hineingeworfen, eingedenk des folgenden Zitates:

Die Seele eines Menschen ist wie ein See. Wenn man einen Stein hineinwirft, wird er unruhig, es gibt Wellen. Irgendwann beruhigen sich die Wellen und die Oberfläche ist wieder glatt, aber auf dem Grund bleibt der Stein für immer liegen.

(Unbekannt)

Die Wellen, die ein Stein, den man in die Chemnitz wirft, schlägt, beruhigen sich sofort. Mitgerissen von der Strömung haben sie kaum eine Möglichkeit, ihre Kreise zu ziehen. Ähnlich ergeht es dem Stein. Nur selten findet er Ruhe auf ihrem Grund. Je nach Größe, Masse und Angriffsfläche wird er beim nächsten Hochwasser, wenn die Fluten reißend um die Felsen fließen, seinem Ruheort enthoben und davongetragen.

Nichts, was ihr nicht dienlich ist, bleibt an seinem Ort. Selbst das, was bleibt, formt sie auf ihre Weise, passt sie ihrem Lauf und Gemüt an: Nichts, was sie einmal berührte, ist hinterher noch so, wie es war, als es in sie hineingeworfen wurde.

Ich habe ihre tausend Gesichter bereits gesehen – und doch freue ich mich jeden Tag, ihr Gesicht wieder zu sehen. Denn auch wenn sie scheinbar unverändert ihrem Lauf folgt, so hat sie doch jeden Tag neue Facetten. Da glitzert das Licht anders auf der Strömung, weil die Sonne etwas höher steht. Da wabern Nebelfetzen über ihrem Bett, dass man unwillkürlich Ausschau nach dem „Erlkönig“ hält. Manchmal erzählt sie leise und verträumt flüsternd von lauen Sommerabenden und frühen Morgenstunden. Manchmal droht sie mit herrischem Rauschen, während ihre Wasser wild um die Felsen spülen und ausgewachsene Bäume umherwirbeln wie Stöcke.

Ihr Name Chemnitz, „Caminica“, ist nördlich der gleichnamigen Stadt Programm. Besonderheit reiht sich an Kuriosum und wird, in meinem Erleben, immer mehr zur Allegorie auf das Leben.

Auf mein Leben.

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