Status: im Schreibprozess
Veröffentlichungsdatum: steht noch aus – geplant 2026, evtl. 2025
Verlag: geplant edition winterwork
veröffentlicht als: geplant als Taschenbuch
Seitenzahl: steht noch aus
Erzählart: Roman
Genre: Reise
Zielgruppe: Erwachsene

Inhalt
Charly hat ihr Meisterjahr geschafft, die Prüfungen sind vorbei und das Ergebnis ist auch endlich eingetrudelt.
Obwohl Charly endlich wieder in einen normalen Arbeitsrhythmus finden will, ist zunächst der angesammelte Jahresurlaub zu verbrauchen. Ganz untypisch hat Charly erst gar keine Idee, wohin sie Ende Oktober kurzfristig aufbrechen könnte. Denn eines ist klar, die Weihnachtszeit möchte sie zuhause verbringen. Überraschend schnell findet sich aber doch ein letztlich überaus passendes Ziel.
Leseprobe
Bestanden (You got it – Roy Orbison)
„BESTANDEN“, hatte Charly in die Nachricht getippt und sowohl an ihren Vater als auch an Steven gesendet. Gerade eben hatte sie, wie jeden Tag in den letzten Wochen, ihren Online-Zugang zu den Prüfungsergebnissen der IHK kontrolliert. Endlich waren ihre letzten Ergebnisse eingetragen, mitsamt dem Verweis auf das Datum der Feierlichkeit zur Aushändigung der Schmuckmeisterbriefe in Bamberg. Passenderweise ein Freitag und schon in anderthalb Wochen. Sie hatte gehofft, ihre Ergebnisse noch rechtzeitig zu erhalten, um nicht ein halbes Jahr auf die nächste Veranstaltung warten zu müssen. So war das ein zeitnaher und würdevoller Abschluss und sie konnte sich neuen Projekten zuwenden.
Charly spürte, wie sie in das schon fast gewohnte „Loch“, wie sie es nannte, kippte. Nach jedem vollendeten Projekt kam dieser Augenblick der völligen Leere, der Ziellosigkeit. Inzwischen erkannte sie diese Momente, die manchmal nur Tage oder auch mehrere Wochen anhielten, als Quelle unbegrenzter Möglichkeiten. Sie wusste, sie konnte in den folgenden Tagen abends auf dem Sofa sitzen oder morgens erwachen und alle nur erdenklichen Möglichkeiten wie in einem Orbit um sich kreisen sehen. Und je nachdem, für welche neuen Ziele sie sich entschied, würde sich dieser Orbit verändern. Würden einige Möglichkeiten zurücktreten und dafür neue erscheinen. Würden sich die Beziehungen zwischen den Objekten und den beteiligten Menschen verändern, um jene Situationen ins Leben zu rufen, die ihr halfen, ihr nächstes Projekt, ihren nächsten Lebensschritt zu finden und sich neu auszurichten.
Sie lehnte sich zurück. Abgesehen davon, dass es in einem Haus mit Grundstück und Tieren nie „nichts“ zu tun gab, liebte sie diese Zeiten ganz besonders, rar gesät und kurz wie sie bisher gewesen waren. Keine wochenlangen Sommerferien mehr nach einem ausgefüllten Schuljahr. Bisher hatte sie sich nach jedem großen Schritt, dem Abitur, der Ausbildung und auch der Walz eine Reise gegönnt bevor der nächste, oft schon vorgezeichnete Schritt angestanden hatte. Diesmal sah ihr Plan, so es diese Bezeichnung überhaupt verdiente, ganz anders aus.
Ohne Plan, ohne weitere Festlegung wollte sie in einem normalen Rhythmus, ohne Wochenendarbeit und Abendschule, nur geregelt ihrem Beruf nachgehen und ihr Heim und ihre Freizeit genießen. Aber schon der Gedanke fühlte sich ungewohnt an. Irgendwie langweilig. So … erwachsen.
Charly seufzte und linste auf ihr Handy. Weder Steven noch ihr Vater hatten geantwortet. Vermutlich waren sie gerade an einer kniffeligen Arbeit und hatten weder eine Hand frei noch Muse ihr zu antworten. Sie sprang auf. Die Neuigkeit war noch zu frisch als dass sie ruhig weiter sitzenbleiben konnte, obwohl sie wenige Minuten zuvor gerade erst froh, sitzen zu dürfen, aufs Sofa gesunken war. Wem konnte sie jetzt noch davon erzählen, um die erleichterte Aufregung, die sie erfasst hatte, zu teilen?
Prüfend glitt ihr Blick wieder über das Display des Handys. Diesmal galt ihr Interesse jedoch mehr der Uhrzeit. Ihrem Chef und in der Arbeit würde sie es morgen früh erzählen. Schnell tippte sie eine etwas ausführlichere Nachricht an Melli, verbunden mit der Frage, ob sie sich treffen und gemeinsam zu Abend essen wollten. Das lag zwar derzeit eigentlich überhaupt nicht im Budget, aber gänzlich übergehen mochte sie dieses Ereignis auch nicht. Unschlüssig sah sie sich um, wie sie diesen eigentlich so gewöhnlichen Donnerstag doch noch feiern könnte. Das Wetter verlockte nicht nach draußen, die Bäume bogen sich unter einem scharfen, böigen Wind, der die Blätter von den Bäumen riss und in geschützten Ecken zu Haufen zusammenfegte. Immer wieder prasselten Tropfen ans Fenster, wenn der Wind Regenschleier über den Hof fegte. Reiten fiel demnach genauso aus wie Motorradfahren, zumal die tiefhängenden Wolken den Tag schon jetzt sehr düster werden ließen.
Das Display ihres Handys, das sie noch in der Hand hielt, leuchtete auf. Melli hatte geantwortet, mit Gratulationen und einer Absage für den Abend, sie sei schon verplant, aber gern ein anderes Mal. Einerseits erleichtert, dass sie sich die ungeplante Ausgabe sparen konnte, aber auch ein wenig enttäuscht, schrieb Charly eine kurze Bestätigung, dann steckte sie das Handy resolut ein.
„Ich mache mir selber einen schönen Abend“, sagte sie eine Spur zu laut und zu bestimmt, um sich selbst über die Traurigkeit, die in ihr aufstieg, hinwegzutäuschen.
Ihr Blick fiel auf den Kamin. Es war eine schöne Gelegenheit, die diesjährige Kaminsaison zu eröffnen. Das bedeutete zwar, dass sie zuerst zwischen die nassen Rhododendren kriechen musste, um zu prüfen, ob er richtig zog, damit sie sich nicht das Wohnzimmer verräucherte, aber dem konnte sie mit einem heißen Bad begegnen. Ein Rest des schönen Winterschaumbades hatte den letzten Winter überdauert und harrte seither der neuen kalten Jahreszeit.
„Das sieht doch langsam nach einem schönen, gemütlichen Abend aus“, begann Charly sich zu freuen. Nur den Punkt mit dem kostengünstig würde sie streichen müssen, denn ein kurzes Stöbern in Vorratsraum und Kühlschrank ergab die üblichen gähnenden Leeren.
„Zur Feier des Tages bestelle ich heute Pizza“, beschloss Charly und ging zur Hintertür, die sie gleich wieder schloss als ein Windzug hereinfuhr und sie automatisch nach der Regenjacke langte, die an der Hakenleiste hing. Der Sommer war endgültig vorbei. Irgendwie war diese Erkenntnis jedes Mal ein etwas schwermütiger Moment. Sie zog sich die Kapuze über den Kopf und die Schultern hoch. Eilig schnürte sie zum Gartentürchen und zu Peters Haustür. Die Einfahrt lag verwaist, sein roter Golf stand nicht an der gewohnten Stelle. Sie klingelte trotzdem, wunderte sich aber nicht, dass die Tür nicht geöffnet wurde. Wahrscheinlich war er noch einkaufen oder schon etwas früher zum Skatabend gestartet.
Ihre Pferde und die Esel drängten sich nass um sie herum und verlangten nach Leckerli und Streicheleinheiten. Zur Feier des Tages gab es für jeden eine Handvoll des teuren und an sich unnötigen Pferdemüslis zusätzlich zur üblichen Portion Gerste. Auch die benötigten die Tiere eigentlich nicht, aber Charly hatte ihnen und sich das Füttern von Anfang an angewöhnt, damit sie die Tiere einmal täglich kontrollieren konnte, ohne jedes Mal über die gesamten Koppeln laufen zu müssen. Auch jetzt strich sie prüfend über die Rücken, warf einen Blick auf die Hufe und zupfte bei Napoleon eine Zecke aus den Hautfalten zwischen Vorderbein und Bauch. Zufrieden verließ sie die Pferdekoppel und ging zurück ins Haus um Knüllpapier und ein Feuerzeug zu holen. Schon auf dem Weg nach draußen kehrte sie noch einmal um und zündete eine Kerze an, schob die Scheibe des Kamins nach oben und stellte die Kerze in den Brennraum. Die Flamme flackerte und sandte schwarze Rußfähnchen in die Luft. Auch als die Kerze still im Kamin stand, beruhigte sich die Flamme nicht und strebte flackernd auf Charly zu in den Raum. Charly zog die Scheibe nur zur Hälfte herunter und ging nach draußen.
Fröstelnd zog sie die Jacke enger um ihre Schultern und setzte die Kapuze, die sie im Haus abgesetzt hatte, wieder auf, bevor sie zwischen die Rhododendrenbüsche trat. Mit klammen Fingern löste sie die Flügelschrauben am Ofenrohr und mühte sich dann, die Knüllpapierkugeln anzuzünden. Immer wieder blies der unstete Wind die Flamme des Feuerzeugs aus und ihre Geduld erlahmte. Schließlich aber gelang es doch und sie beeilte sich alles Knüllpapier an der bereits brennenden Papierkugel anzuzünden und im Ofenrohr zu platzieren, bevor die Flammen ihre Finger erreichten.
„Autsch!“ So ganz von Erfolg war der Versuch nicht gekrönt und sie wischte die Finger, die näher mit der Flamme in Berührung gekommen waren als beabsichtigt, an ihren Jeans ab. Hastig stopfte sie auch die letzten brennenden Kugeln in das Ofenrohr und lauschte dem zunehmenden Fauchen mit welchem der Zug im Rohr hergestellt wurde. Nach einem kurzen Flattern wurden die Papierkugeln hineingezogen und Charly legte reflexartig den Kopf in den Nacken, beißenden Papierrauch in der Nase. Oben aus dem Ofenrohr stoben einige glühende Pünktchen und größere schwarze Fitzelchen, die vom Wind schnell weggetragen wurden. Sie schraubte den Deckel wieder auf und kehrte mit einem kurzen Abstecher in den Holzschuppen, um die gefüllte Kaminholzschütte zu holen, ins Haus zurück. Im Kamin brannte die Kerze ruhig mit großer, gerader Flamme. Charly stellte die Holzschütte ab und ging ins Bad, um sich Wasser in die Badewanne einzulassen. Während das Wasser lief und sich die Wanne füllte, räumte Charly alles, was sie für ihren Abend benötigte, griffbereit aufs Sofa. Ein Buch und ein Weinglas, ihr Portemonnaie und den Pizzaflyer. Den Wein stellte sie im Kühlschrank kalt und ihr Handy würde sie zunächst mit ins Bad nehmen. Nach kurzem Überlegen holte sie eines ihrer teuren Whiskygläser und suchte einen der besten Whiskys, die sie besaß, aus dem Regal. Wann, wenn nicht heute, hatte sie sich diesen besonderen Tropfen verdient? Mit dem gleichen Argument hatte sie sich ein Glas von genau diesem Whisky auch am Abend der letzten Prüfung gegönnt, erinnerte sie sich mit einem amüsierten Schnauben. Mit einem leichten Lächeln stieg sie dann ins Schlafzimmer hoch, holte sich ihren gemütlichsten Schlafanzug und dicke Kuschelsocken und legte sie im Bad bereit. Schade, dass der große Heizungsofen momentan nur fürs Heißwasser läuft, dachte sie. Aber jetzt war es zu spät, ihn noch für das Heizen der Räume einzuschalten. Aber hier im Bad genügte die Strahlungsheizung und im Wohnzimmer würde der Kamin den Raum schnell erwärmen. Kurz darauf ließ sich Charly mit einem zufriedenen Seufzen ins heiße Wasser sinken.
Nach kurzer Zeit jedoch angelte sie nach ihrem Handy. Es war so ungewohnt, dass sie nichts Dringliches zu tun hatte und weder der Kalender noch ihre Zeitplanungs-App auf anstehende Lernzeiten und Termine hinwies. Dafür prangte eine Nachricht von Steven auf dem Display.
„Wurde ja auch Zeit!“, hatte er in brüderlichem Spott geschrieben. Sie verdrehte die Augen und legte das Handy wieder weg. Trotzdem nagte der Satz an ihr und Charly kaute mit zunehmendem Ärger auf ihrer Unterlippe. Schließlich griff sie wieder zum Handy. Von ihrem Vater war eine Nachricht mit dem kurzen Wort „Congrats!“ dazugekommen. Sie seufzte ob ihrer wortkargen und wenig feinfühligen Antworten, klickte aber die App an. Sie enthüllte weitere Nachrichten der beiden Männer.
„Ich dachte schon, sie hätten Deine Prüfungsblätter verloren“, hatte Steven noch geschrieben und ihr dann ausführlich gratuliert. Ihr Vater kündigte an, sie zu späterer Stunde anzurufen, sie solle kurz Bescheid geben, wann es ihr am besten passte. Sie umriss ihrem Vater ihre Vorstellung vom weiteren Verlauf ihres Abends, bevor sie das Handy erneut weglegte und sich wieder tiefer ins Wasser sinken ließ. Zumindest bis ihr einfiel, dass sie schon ihre Lieblingspizza ordern könnte.
Danach hielt es sie nicht mehr in der Badewanne. Sie nutzte die Gelegenheit noch zum Haare waschen und kniete schließlich mit feuchten Haaren, aus denen gelegentlich noch kleine, kalte Tröpfchen fielen, vor dem Kamin und schichtete Holz hinein. Die Kerze brannte noch immer und Charly nutzte die Flamme, um die Anzündwolle zu entfachen, bevor sie die Kerze auf den Couchtisch stellte. Binnen weniger Minuten flackerte ein helles Feuer im Kamin und die Scheibe begann, wohlige Wärme abzustrahlen. Eine Weile blieb sie davor hocken und beobachtete den Tanz der Flammen.
Sie stand gerade in der Küche und hatte im Dunkeln den Wein aus dem Kühlschrank genommen, da schwenkten draußen die Scheinwerfer eines Autos um die Blutbuche. Sie holte ihr Portemonnaie, nahm die Pizza entgegen und machte es sich auf dem Sofa bequem.
***
Just als sie überlegte, ob sie die letzten beiden Stücken noch essen oder für später aufheben sollte, klingelte ihr Telefon. Arved und Steven überboten sich in ihren Gratulationen und Beteuerungen, dass sie nie etwas anderes als ihren Erfolg in Betracht gezogen hätten. Dann fragte Arved, ob sie sich von den anstrengenden Wochen noch erholen wolle, es dazu Ideen oder schon konkrete Reiseziele gäbe oder was sonst momentan anstünde.
„Charly, du brauchst eine Pause“, mahnte Arved sacht als Charly äußerte, dass sie jetzt ihre fehlende Arbeitsleistung im Betrieb aufarbeiten müsse, auch um die bei ihrem „Beutezug“ im September investierten Rücklagen wieder aufzubauen.
„Am Haus sind einige Veränderungen nötig, die Optimierung der Arbeitsbedingungen in der Scheune sind da noch der weitaus geringste Aufwand“, erklärte sie.
Sie hörte, wie ihr Vater tief Luft holte, aber was auch immer er hatte sagen wollen, blieb ungesagt. Sie wussten beide, dass sie nur zu fragen brauchte und er ihr jedes Vorhaben am Haus finanzieren würde, genau wie ihre Ausbildung.
„Du machst, was du machen möchtest, ich kümmere mich um das Finanzielle.“ Dies war der eine Satz gewesen, den er Steven, Melli und ihr jeweils zum Abitur mitgegeben und ohne weiteres Federlesens eingehalten hatte. Sie wusste, dass jeder von ihnen sein Bestes getan hatte, um seinen Aufwand zu minimieren. Aber was sie betraf: da gab es noch dieses eine Tabellenblatt in ihrer Finanzübersicht, welches minutiös jeden Betrag enthielt, mit dem er ihr etwas ermöglicht hatte – und die aus ihrer Sicht kümmerliche Gegenüberstellung, was sie selbst dazu beigetragen hatte. Andererseits war allein sein Dasein die konstante Mahnung, Wünsche und Träume zu leben und nichts auf später zu verschieben. Er lebte trotz seiner Angewiesenheit auf den Rollstuhl ein erfülltes Leben und hatte sich vieles mühsam zurückerobert. Umso mehr verfing sein „Mach es jetzt!“, wenn Charly, Steven oder Melli ihm von einer Idee vorschwärmten.
„Du brauchst eine Pause“, wiederholte er mit sanftem Nachdruck, verabschiedete sich und legte auf.